Ein Song reicht.
„Ich bin nicht mehr oft in meinem Zimmer. Ich geh langsam raus. Verdammt noch so ein Winter und ich schwör, ich wander aus! Alles ist nur noch halb so beschissen, wenn die Sonne scheint.“
casper feat Kraftklub – ganz schön okay
Ein Song reicht. Nach langer Zeit endlich mal wieder feiern. Grundlage schaffen mit Pizza gegen drohende Hypos. Gummibärchen in den Taschen. Ersatzkatheter nicht dabei, wird schon schiefgehn. Einen Tag zuvor released Kraftklub das neue Lied „ein Song reicht“: „Ein, zwei Bands, die mich andauernd an die Zeit mit dir erinnern.“
Auch an diesem Abend, „ein Song reicht“, um alte Erinnerungen zu wecken und neue zu schaffen. Gilt auch für Diabetes „Ah, bei dem Song hab ich öfter die Pumpe beim Tanzen verloren“ und erst recht für Lieblingssongs in unterschiedlichen Zeiten.
Pizza im portugiesischem Viertel. Erstmal weniger Insulin für die Pizza abgeben. Wir müssen noch ein Stückchen laufen, bis wir zur gewünschten Bar kommen. Generell bin ich bei Alkohol und Diabetes lieber etwas höher unterwegs, je nach Aktivität fühle ich mich bei 150 mg/dl und 200 mg/dl am wohlsten. Ein Song reicht: An den Landungsbrücken raus, weiter am Hafen entlang.
In die Bar und Schlager hören, die irgendwelche Menschen über die Jukebox auswählen. Über uns schweben mehr oder weniger kuriose Teile: Modell-Segelschiffe, ausgestopfte Vögel, Seile, Bier, … Wir erfinden Geschichten dazu, was die einzelnen Stücke wohl erzählen könnten. Wann hat hier wohl mal jemand das letzte Mal geputzt? „Heute, die Theke klebt ja nicht.“ Blutzucker irgendwo bei über 250 mg/dl, erstmal Insulin abgeben. Nicht zu viel, auch wenig Alkohol ist Alkohol! Ein Song reicht: Der schönste Platz ist immer an der Theke.
Auf dem Weg in irgendeinen Club die Überlegung, wann wir eigentlich das letzte Mal feiern waren. Früher (meistens in Süddeutschland), als ich auf der Treppe in die Clubs und Bars regelmäßig meine Schuhe verloren hab – wohlgemerkt meistens als Fahrerin, aber Böden und Treppen voller Wodka Energie waren der Endgegner. „Früher“ ist auch nicht so lange her, Corona wirkt als Zäsur. Ein Song reicht: „what’s my age again“ blink182.
Heute. Die ersten 5km sind schonmal gelaufen. Bin in den Club gekommen, ohne die Schuhe zu verlieren. Klebt es etwa weniger als früher? Wir tanzen zu Ärzte-Songs, jump – Kris Kross, song 2 – blur, usw. … Natürlich keine Musik über high end Boxen, natürlich wird im Laufe des Abends der Bass lauter und schiefer. Wie kann eigentlich Musik, mitgrölen und tanzen auf verklebten Böden und schlechter Anlage so glücklich machen? Und so viele gute Erinnerungen wecken? Ein Song reicht: Die Ärzte – Unrockbar (und ich fühl mich wie mit 14.)
Blutzucker bei 150 mg/dl. Scheinbar die richtige Menge an Insulin abgeschätzt und das Tanzen wirkt genau wie geplant. 🙂
„Noch 3 Lieder und dann auf zum Fischmarkt?“ Mit s drei e d SEEED im Ohr verlassen wir die Bar und gehen Richtung Pommes. Die Pommes berechne ich komplett. Die Sauce dagegen nicht. Bis zum Schlafplatz sind es noch 5km und ich bin fest entschlossen, auch die noch zu laufen. Ein Song reicht: „wir sind seeed und das ist unser Gebiet, singende Caballeros auf’m bombigen Beat„.
Fischmarkt. Wie viele Kaffeebüdchen gibt es hier eigentlich? Und von da aus weiter. Mit den hohen Schuhen gegen Ende schon ne Herausforderung, these boots are not really made for walking. Ein Song reicht: I’m walking.
Kurz vorm schlafen gehen stelle ich die Basalrate runter und den Zielwert hoch. Nach wenigen Stunden Schlaf bin ich wieder wach. Blutzucker bei 140 mg/dl. Die Basalrate bleibt erstmal reduziert. Der erste Song, den ich höre, ist der von Kraftklub: Ein Song reicht.
Corona Serviceergänzung: Ich war in Hamburg unter 2G+. Davor und danach hab ich mich engmaschig getestet plus Kontakte reduziert. Einen Tag später ist in Schleswig-Holstein bei mindestens spannendem Infektionsgeschehen die Maskenpflicht gefallen. In der Schule ist das Testen sowieso freiwillig, die Maskenpflicht wird auch dort fallen. Wenn ich mich demnächst schon infizieren „muss“, kann ich mein Sozialleben vorsichtig wieder hochfahren und auch mal feiern gehen.