Aufreger der Woche: Selbstoptimierungswahn für Fitness & Ernährung

Leute! Ich weiß nicht, wie es euch geht: Der Fitness- und Ernährungswahn im Zuge der Selbstoptimierung bei social media erreichte diese Woche bei mir wieder den Höhepunkt. Klicke ich schon ständig sämtliche Inhalte dazu im gesponserten Bereich weg, kann ich natürlich nicht allen Inhalten aus dem Weg gehen.

Meine Liebe zum Essen und zur Bewegung trifft Modus Selbstoptimierung

Vorher sei gesagt: Ich LIEBE Essen! Ich kann mich stundenlang damit beschäftigen. Ich bewege mich gern und ja, ich treibe aus verschiedenen Gründen gern und regelmäßig Sport. Und trotzdem gibt es Sachen, bei denen ich aus der Haut fahre. Bei denen mich der Selbstoptimierungswahn so sehr ankotzt, dass ich mich eigentlich frage, was zur Hölle so abgeht. Und nach all meiner Aufregung nur noch Leere und offene Fragen zurück bleiben.

Postings auf instagram

Folgende Postings wurden mir in die Timeline gespült. Sie sind leider austauschbar und kommen viel zu oft vor.

Strong(h)er und Selbstoptimierung am Arsch!

Dazu ein paar Fragen und Gedanken:

  • Ist nur ein dünner Körper ein schöner Körper?
  • Ist ein weicherer, eventuell dickerer Körper unsexier als ein muskulöserer, eventuell schlankerer Körper?
  • Ist ein Sixpack überhaupt für jeden erstrebenswert / sinnvoll? Ich müsste dafür unter anderem massiv Körperfett reduzieren, ohne dass ich eine stärkere/stabilere Mitte hätte. Nur, um Muskeln zu zeigen, die nicht funktionell trainiert wurden, da ein Sixpack nicht unbedingt physiologisch sinnvoll ist. Gerade für Frauen/Menschen mit Uterus absolut absurd.
  • Wie viel weniger soll ich werden, um wenig genug zu sein?
  • Was passiert, wenn ich mal mehr bin an Umfang? Zum Beispiel durch Rennrad fahren und Eis schlemmen im Sommer? Zum Beispiel durch Phasen, in denen Bewegung nicht geht (Erkältung, OPs,…)?
  • Ist ein Training mit Erfolgen in Rekordzeit sinnvoll? Dauern Gewohnheiten nicht länger, um sich zu etablieren? Braucht der Körper nicht länger Zeit, um sich umzustellen, um Sehnen, etc sinnvoll zu belasten?
  • Ist der Weg, der für alle Frauen passt, überhaupt für mich schlau? Ich hab z.B. ein Hohlkreuz, meine Schwester nicht. Sollten wir da gleich trainineren? Bringen mich ihre Tipps weiter?
  • Ist das schlimmste, was mir passieren kann, wirklich das zunehmen? Sodass ich Angst haben muss? (Kleine Geschichte am Rande: Ich habe JAHRE gebraucht, um mich davon zu lösen. Jedes große Familienessen früher war eine Debatte über Kalorien und wie viel jemand zu oder abgenommen hat. Selbstverständlich war nur das Abnehmen toll, egal, aus welchem Grund.)
  • Müssen mich meine Freunde (absichtlich nicht gegendert) immer süß oder, wie hier, besser noch GEIL finden?
  • Warum wird in diesem Posting die kräftigere Frau gleichgesetzt mit keinem Selbstbewusstsein/-vertrauen, während die dünnere Frau all das hat?
  • Wie viel safe space bietet solch ein „Coach“ wohl Menschen, die mehr Körpergewicht haben, nicht abnehmen wollen, sondern einfach nur etwas Kraft aufbauen wollen?
  • Wie motiviert sind wohl Menschen mit Adipositas, langfristig Sportangebote wahrzunehmen, wenn sie mit solchen Bildern konfrontiert werden?
  • to be continued…

Die Kehrseite: Essstörung und Selbstzweifel

Ich hab familiär recht viel mit Essstörungen zu tun (gehabt). Es ist unfassbar schwer (gewesen), damit umzugehen. Sich nicht davon abhängig zu machen, 5kg mehr oder weniger zu haben. Es gibt Geschichten in meinem erweiterten familiären Umkreis, wie ein Schweinegeräusch, wenn sich der Kühlschrank öffnet (um sich daran zu erinnern, dass man wie ein Schwein frisst…). Weil weniger sein das wichtigste ist. Weil nur schlanke Menschen sexy Menschen sind. Alleine darüber könnte ich ewig schreiben.

Ich arbeite hart daran, meine Muskeln so zu stärken, um individuelle Defizite auszugleichen. Sprich Rückenschmerzen reduzieren und vorzubeugen. Selbstoptimierung ist das auch, mit dem Zweck, schmerzfrei und stabil zu sein. Dazu finde ich in diesem Posting übrigens gar nichts. Ich soll demnach ja Sport machen und mich ernähren, um weniger zu sein.

FUCK IT. Niemand muss weniger sein, um gut zu sein. Kümmert euch gut um euch, findet raus, was euch hilft. Und was nicht. Wie ihr euch wohlfühlt, fernab von Sehgewohnheiten. Blockt diesen ganzen Kram weg, so gut es geht. <3

P.S.: Richtig guten kostenlosen Umdenk-Content gibt es z.B. bei workittraininghamburg auf deren insta-Seite.

Aufreger der Woche: Scheiß Corona Lyrik

Scheiß Corona. Scheiß Impfverweigerer*innen. Scheiß Durchseuchung. Scheiß Tests. Scheiß Inzidenzen. Scheiß keiner weiß, ob und wie Menschen mit Diabetes zur Risikogruppe gehören. Scheiß „nur die mit Vorerkrankungen“. Scheiß Coronaschulpolitik. Scheiß keine Konzerte. Scheiß long covid. Scheiß Nazis. Scheiß Kontaktreduzierungen. Scheiß keine Vorfreude mehr haben wollen, weil mal gucken was nächste Woche ist.

[Bildbeschreibung: Schwarz-weiß Aufnahme. Beates Kopf liegt auf dem Tisch. Der Mittelfinger der rechten Hand ist ausgestreckt.]

#ImpfenHilft #Risikogruppe #diabetestyp1 #scheißCorona

Boostern mit Diabetes #ÄrmelHoch

#ÄrmelHoch Bin jetzt geboostert. 🙂

Am Arbeitsplatz, sprich Schule, mit vielen Kolleg*innen. Wir sind solidarisch. (Die, die gestern nicht geboostert wurden, sind schon oder werden noch geboostert.) Bin sehr dankbar dafür. Natürlich freiwillig und nicht verpflichtet. Geld gibt’s dafür auch nicht. Stattdessen mehr Schutz für mich, für mein privates Umfeld, für mein Kollegium und auch für unsere Schüler*innen.

Einen Tag später und mir geht’s gut. Leichte Armschmerzen und etwas mehr Müdigkeit. Sonst nichts. Hätte ich so auch nicht erwartet, da ich bei den ersten beiden Impfungen nahezu alle Impfreaktionen hatte. Diabetesmäßig läuft es ebenfalls sehr gut. So war es bei den letzten Impfungen (egal welcher) auch. Der Hügel kommt davon, dass ich Risotto selten esse, zum ersten Mal gekocht habe und dann natürlich völlig daneben liegen musste. 😉

Gewebezuckerverlauf der letzten 24h

Ich kann mich nur wiederholen: Lass dich impfen. Das erste, zweite, dritte, … Mal.

Aufreger der Woche: Diabetes und Diskriminierung

Mir meiner Diskriminierungserfahrungen bewusst zu werden, war für mich ein wichtiger Prozess. Es lenkte den Blick weg von mir als Einzelperson zu uns als Gruppe von Menschen mit Diabetes und Behinderungen. Diskriminierung ist eben nichts, was ausschließlich ich erfahre!

Diabetes als Behinderung – Diskriminierung durch Diabetes

„Ich bin doch nicht behindert.“ Das habe ich vor wenigen Jahren noch selbst gesagt. Im Jahr 2021 hat sich viel geändert mit der Sicht auf Behinderung und was eine Behinderung ausmacht.

Vor kurzem habe ich auf instagram für den diabetes ratgeber ein takeover gemacht. Thema: Diskriminierung und Diabetes. Dieser Artikel ist eine vertiefte Zusammenfassung davon und eine Aktualisierung meines 2015 Artikels „behindert sein vs behindert werden , den ich heute nicht mehr ganz so schreiben würde.

Definition Diskriminierung im rechtlichen Sinne

Eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne ist eine Ungleichbehandlung einer Person aufgrund einer (oder mehrerer) rechtlich geschützter Diskriminierungskategorien ohne einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt. Die Benachteiligung kann ausgedrückt sein z. B. durch das Verhalten einer Person, durch eine Vorschrift oder eine Maßnahme.

https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Handbuch_Diskriminierungsschutz/Kapitel_2.pdf?__blob=publicationFile&v=5, letzter Zugriff 27.02.2021

Wie behindert Diabetes?

Menschen mit Diabetes und Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen und Behinderungen haben alle ähnliche Erfahrungen in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusion gesammelt. Eine Person, die Rollstuhl fährt, hat andere Diskriminierungserfahrungen als eine Person, die blind ist. Trotzdem treffen wir an bestimmten Punkten aufeinander und siehe da „Ah, das kenn ich auch!“ kommt immer wieder in Gesprächen vor.

  • Diskriminierungserfahrungen bei Ärzt*innen und medizinischem Personal
  • Du bist so eine starke und inspirierende Persönlichkeit! alias inspiration porn
  • Absprechen von Erfahrungen und Expertise (bei uns Menschen mit Diabetes z.B. übergriffiges Verhalten wie „Du darfst das nicht essen! Ich kenn mich da aus!“)
  • Erschwerter Zugang zu Bildung: Schwierigkeiten bei der Wahl des Kita-Platzes, der Schule plus Schwierigkeiten der pflegenden Angehörigen, vorrangig Mütter, weiter beruflich tätig zu sein. Jede 10.Mutter gibt ihre Arbeitsstelle auf.
  • Kämpfe mit Krankenkassen, MDK und Co für Hilfsmittel (wer hat noch nicht gebangt, ob das CGM wieder genehmigt wird?)
  • Probleme bei der Verbeamtung und selbst mit Behindertenausweis Probleme bei der Versicherung
  • Keine Chance, mit Diabetes eine Berufs- oder Dienstunfähigkeitversicherung abzuschließen (ok, seit neuestem gibt es da eine verrückte Version – davon bin ich noch nicht überzeugt und auch da hängen so viele ABERs dran, dass es sich deutlich von Menschen ohne Behinderung unterscheidet)

Sich dessen bewusst zu werden, war für mich ein wichtiger Prozess. Es lenkte den Blick weg von mir als Einzelperson zu uns als Gruppe von Menschen mit Diabetes und Behinderungen. Diskriminierung ist eben nichts, was ausschließlich ich erfahre!

Das sind doch nur Einzelfälle!?

Diskriminierung ist möglich, weil das System es erlaubt (ähnlich wie bei Rassismus oder Sexismus). Diskriminierung ist vielschichtig.

Es kann natürlich sein, dass ein sehr unsympathischer Mensch zusätzlich zur Diskriminierung noch blöd wird. Aber auch nette, sympathische Menschen können sich diskriminierend verhalten (siehe die zahlreichen Beispiele unter dem Posting des diabetes ratgebers). Das System an sich ist auch schon diskriminierend.

Beispiel: Krankenversicherung und Diabetes Typ1 als Beamtin

In meinem Referendariat als Beamtin auf Widerruf 2018/2019 konnte ich mich nicht privat versichern, da die Öffnungsklausel nur für Verbeamtung auf Probe gilt. Also musste ich mich freiwillig gesetzlich versichern, zu einem deutlich höheren Preis als meine Mit-Referendar*innen in der PKV. Mein knappes Referendariatsgehalt wurde nicht angepasst. Für eine Krankheit, für die ich unfreiwillig Verantwortung trage, wurde ich bestraft.

Danach war ich ein Jahr angestellte Lehrkraft, hier war ich gesetzlich pflichtversichert und es gab keine Probleme.

Seit Oktober 2020 bin ich verbeamtet auf Probe. Eine freiwillig gesetzliche Versicherung ist sehr teuer. Nach Abwägen vieler Gründe habe ich mich für eine private Krankenversicherung entschieden. Dort zahle ich nun 30% (!!!) Risikozuschlag plus bin im stationären Bereich runtergestuft als gesetzlich Versicherte. Mein Gehalt wird auch hier nicht angepasst.

Das tut zwar allen Mitarbeitenden in allen Versicherungen immer totaaaaaaal Leid, ändern tut sich aber nix. Und da wir Menschen mit Behinderungen immer noch keine Lobby haben , setzt sich eben niemand für uns ein. Ich werde behindert.

Behinderung als Status

Meine Behinderung an sich ist erstmal nur ein Fakt: Teile meiner Bauchspeicheldrüse arbeiten nicht, ich übernehme einen Teil eines lebenswichtigen Organs. Das dass richtig nervig sein kann, wissen wir alle.

Manchmal möchte ich meinen Diabetes gerne abgeben. Die meiste Zeit lebe ich zufrieden mit meinem Diabetes. Diabetes ist eine meiner Stärken. Und egal, wie ich meine Behinderung wahrnehme – ich mache immer wieder diskriminierende Erfahrungen. Genau das zeichnet Diabetes als Behinderung aus, ob ich einen Behindertenausweis besitze, ist dafür überhaupt nicht relevant.

Dazu haben schon viele kluge Menschen geschrieben. Ich verlinke mal zwei meiner Lieblingsbeiträge. Leider ist das Einbetten von instagram Beiträgen nicht mehr erlaubt, deshalb sind es wirklich zwei hässliche Links – sorry!

www.instagram.com/p/CHAL9zSKj7j/?igshid=1gmqit9l36r85 (Raul Krauthausen)

https://www.instagram.com/p/CIoAEFqH51k/?igshid=jykdqgxcxl3 (Laura Gehlhaar)

Inklusion als Herzensthema

Ich habe katholische Religionslehre, Germanistik und Sonderpädagogik studiert, ich arbeite als Förderschullehrkraft, ich habe selbst eine Behinderung. Inklusion ist mein Herzensthema, über das ich immer noch zu wenig im Internet spreche. Ich versuche, das zu ändern.

Wer den instagram takeover verpasst hat, kann das Highlight sowohl auf dem Account des diabetes ratgebers als auch bei meinem Account ansehen.

Erzählt mir gerne mehr über eure Sicht auf die Dinge und über eure Diskriminierungserfahrungen. Ich freu mich auf den Austausch!

Liebe Grüße

beate_putzt für Inklusion

Weiterführende Links

Die drei Affen der Inklusion

Heute ist Tag der Inklusion. Was geht mich das an?

Die drei Affen der Inklusion: (nicht) hören, sehen, sprechen

Menschen mit Behinderungen, Beeinträchtigungen, chronischen Erkrankungen, Migrationshintergrund, nicht-weißer Hautfarbe, einer nicht-heterosexuellen Orientierung, ohne deutschen Pass, mit wenig Einkommen:

  • werden nicht gesehen
  • nicht gehört
  • nicht sprechen gelassen.
Bildbeschreibung: Drei Bildabschnitte in einem Bild. Portraitaufnahme von Gesichtern. Beate hält die Augen, die Ohren oder den Mund zu.

Ich will nicht…

Ich will nicht bewundert werden, will keine Inspiration sein, will nicht Tag für Tag meine Leistung beweisen müssen, beweisen müssen, dass ich „ja fast so bin wie eine gesunde Person“.

Ich will nicht von Verlägen hören müssen, dass meine Forderungen nach inklusiver Sprache und barrierearmen Homepages ja nachvollziehbar seien („voll die gute Idee!“), aber leider nicht umsetzbar („das betrifft kaum jemanden“).

Ich will nicht lesen, dass mal wieder ein Tag über Inklusion mit z.B. Diabetes geplant ist – und kein Mensch mit Diabetes ist auf der Bühne, oder nur der/die Eine, um „den guten Willen“ zu zeigen.

Ich will nicht hören, dass meine Schülerinnen und Schüler leider nur auf dem zweiten Arbeitsmarkt einsetzbar seien.

Ich will nicht sagen, ich sei hoffnungslos.

Das bin ich nicht. Ich kämpfe, ich kläre auf, ich diskutiere, ich bilde mich weiter, ich höre zu. Das gelingt mir nicht immer. Es ist anstrengend, manchmal ermüdend.

Inklusion ist für mich…

Inklusion ist Haltungssache. Ich hoffe, mir wird es im Laufe meines Lebens gelingen, immer mehr Barrieren einzureißen. Für mich, für andere.

Inklusion ist Teamgeist. Zusammen ist vieles möglich, auch mit wenig Geld.

Inklusion ist für alle da. Für diejenigen, die ohne Kopfhörer in der Bahn sind (Stichwort Untertitel). Für diejenigen, die gerne wandern, aber Pausen machen möchten (Stichwort Sitzbänke). Für diejenige in einem Haushalt, die unterschiedliche Körpergrößen haben (Stichwort höhenverstellbare Schreibtische). Für diejenigen, die mit Kinderwagen, Bollerwagen und Rollstuhl unterwegs sind, vielleicht sogar gleichzeitig (Stichwort selbstöffnende Türen). Für diejenigen, die Schwierigkeiten mit dem Internet oder wenig bis keine Sehstärke haben (Stichwort Bildbeschreibung).

Inklusion ist nicht „für die da, für die Schwachen“. Inklusion ist für mich, für dich, für uns. Inklusion ist kein fester Zustand, sondern kreativ und immer auf der Suche nach individuellen Lösungen.

Inklusion ist immer Austausch. In diesem Sinne DANKE für über fünf Jahre beate putzt – Sauber Leben mit Typ1-Diabetes. Ein ewiges auf und ab. Ich mag’s und freu mich auf jeden Austausch. Sei es über Diabetes, Behinderung, Jakobsweg oder einfach ein gutes Buch.

Danke. Beate putzt

Was ist Inklusion?

Bei zdf logo! gibt es einen kurzen, einfachen Beitrag (auch geeignet für Kinder), was Inklusion ist.

https://www.zdf.de/kinder/logo/tag-der-inklusion-100.html

T1Day2020: Diabetes als Lifecoach? Eine Kritik

Dieses Jahr fand am 26. Januar 2020 wieder der T1Day in Berlin statt: Ein Tag von und für Menschen mit Typ1-Diabetes und deren Angehörige. Ich konnte nicht viele Vorträge live miterleben, da ich Sascha vom diabetesbeachclub hinter und vor der Kamera unterstützt habe.

Den ersten Eröffnungsvortrag habe ich komplett und live angehört und möchte meine Gedanken dazu teilen. Vorab: Die Kritik richtet sich nicht nur an die Vortragende, sondern ist eine generelle Kritik, warum manche Ratschläge zu kurz greifen.

Karima Stockmann: Lifecoach Diabetes – Lebenslust statt Zuckerfrust

Karima Stockmann hielt den ersten Vortrag des Tages. Der Vortrag begann mit dem Titel „Typ1-Diabetes: Life Coach, der Superkräfte verleiht!

Karima erzählte uns, dass sie sich selbst als Teilzeitdiabetikerin sieht. Da stellten sich mir schon die ersten Fragen. Was passiert in der restlichen Zeit mit dem Diabetes? Gibt es einen Aus-Knopf für den Diabetes? Wo finde ich den?

Bildbeschreibung: Frau mit verwirrten Gesichtsausdruck, Hände mit den Handflächen nach oben am Körper abgewinkelt

These: „Lebensfreude ist eine Entscheidung!“

Lebensfreude ist eine Entscheidung – außer, du hast Depressionen oder psychische Erkrankungen. Dann hast du dich falsch entschieden. Trotz Diabetes Life Coach Superkraft.

Strichmensch1: „Jetzt lach doch mal!“, betitelt als Bekannte. Strichmensch2: „Hihi“, Bildunterschrift „entfernte Bekannte“, Bekannte durch Abreißen entfernt.

These: Lifecoach Diabetes und drei Superkräfte!

Der Lifecoach Diabetes bringt laut Karima drei Superkräfte mit sich. Drei Superkräfte beziehungsweise Tipps, die uns helfen sollen, den Lifecoach besser auszukosten. Ok, in mir zieht sich schon alles zusammen, aber ich lasse mich auf dieses Experiment mal ein.

Bildbeschreibung: Foto einer Powerpointpräsentation, Überschrift: „Diabetes mellitus Typ1 = ein Lifecoach, der Superkräfte verleiht“, darunter ein Sessel

Superkraft: Achtsamkeit

Achtsamkeit, klar. Das, was von Küchenpsycholog:innen immer wieder als Allheilmittel angepriesen wird. Karima bat uns, eine Minute zu atmen. „Zum spüren. Spüre den Augenblick. Deine Füße [….].“

Atmen und spüren, alles klar, das geht leicht. Außer, du bist körperlich behindert wie zum Beispiel mit einer Nervenschädigung, die als diabetische Folgeerkrankung bekannt ist.

Superkraft: Dankbarkeit

„Sei dankbar, dass du Diabetes hast.“ Ok, Dankbarkeit für Diabetes. Ich versuch es mal kurz:

Danke, dass ich chronisch krank bin.

Danke, für Diskriminierung und Bürokratie.

Danke, für die Angst vor Folgeschäden bei jedem f*cking Augenärzt:innenbesuch.

Danke, für nassgeschwitzte Laken durch nächtliche Unterzuckerungen.

Danke, dass ich mir Gedanken machen muss, welche Therapiemöglichkeit mein Leben am längsten begleiten wird.

Danke, dass PIEP AMPULLE LEER BITTE WECHSELN.

Versteht mich nicht falsch, ich bin ein sehr dankbarer Mensch. Dennoch bringt mich die pauschale Forderung „Sei dankbar“ nicht weiter. Auch die oft geforderten Vorschläge wie „Sei dankbar, dass es kein Krebs ist“ helfen mir nicht: Kein Tag mit einer Krankheit oder Behinderung ist gleich und das Vergleichen mit Krankheiten und Behinderungen bringt mich nicht weiter. Erinnert mich an die Frage: Wie schwer ist eigentlich Typ1-Diabetes? Der verlinkte Artikel enthält Rechenfehler und ich würde ihn mittlerweile etwas anders schreiben, aber: Im Kern stimmt er noch. Dankbar bin ich dafür, dass ich Menschen kennengelernt habe, die mich weitergebracht haben, die meinen Horizont erweitern. Dankbar dafür, dass ich mich mit digitalen Medien, dem Streit um Inklusion und Diabetestechnik auskenne.

Superkraft: Mut

„Was ich dir auch noch auf den Weg geben möchte, ist Mut. Sei mutig. [….] Trau dich, trotz Diabetes [….]“. Oh ja, Klassiker: Trotz Diabetes. Ich lebe einfach nicht trotz Diabetes, sondern mit Diabetes. Und ja, dieses kleine Wort macht einen feinen Unterschied: Ich treffe keine Entscheidungen dem Diabetes zum Trotz, sondern treffe meine Entscheidungen, um dann zu überlegen, wie ich das mit Diabetes bewältigen kann.

Doch weiter im Vortrag.

„Du bist heute morgen aufgestanden, du hast so eine große Leistung vollbracht, […] du lebst jeden Tag trotz deiner Krankheit. Der Wahnsinn, dass DU heute hier bist, ein Applaus für dich.“

Ok, vielen Dank für den Applaus an mich für meine bloße Existenz. So lange ich eine stabile Blutzuckernacht hatte, ist das Aufstehen keine Leistung für mich. Abgesehen davon, dass ich kein Morgenmensch bin und erstmal viel, viel Kaffee benötige, um überhaupt irgendwas zu tun.

Diese Sätze sind für mich inspiration porn. Mit dem Begriff „inspiration porn“ wird die Handlung bezeichnet, Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Existenz zu beglückwunschen und das Existieren an sich als Leistung zu betrachten.

Superkraft Beate putzt: Aufregen

Mit Verlaub: Ich bin eine positive Realistin und der Vortrag war für mich ein Schlag ins Gesicht. Ich konnte damit gar nichts anfangen. Ja, ich bin achtsam, dankbar und mutig und dennoch ist Typ1-Diabetes eine scheiß Stoffwechselkrankheit, deren Therapie mich jeden Tag herausfordert, jede medizinische Entscheidung beeinflusst, nicht heilbar ist und das Risiko für Folgeschäden erhöht.

Diabetes ist mein Lifecoach, weil ich alle Entscheidungen mit ihm abstimmen muss: Jetzt essen oder nachher essen, wann und wie bewege ich mich (nicht), Krankheit, Zahnarzt-Besuch, etc pp. Ihr kennt das. Ich würde das Wort Lifecoach nicht nutzen, aber meinetwegen. Allerdings verleiht der Diabetes mir keine Superkräfte, sondern konfrontiert mich sehr hart mit mir selbst.

Jonathan Teklu: Diabetes ist meine Stärke

Bei meinem ersten Besuch auf dem T1Day sprach damals Jonathan Teklu, einer der Gründer von studiVZ. Er sprach davon, den Typ1-Diabetes auch als Stärke zu sehen. Der Vortrag hat bis heute bei mir einen positiven Eindruck hinterlassen. Ja, Typ1-Diabetes ist meine Stärke, denn er nötigt mich, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Allerdings ist auch das für manche Menschen nicht möglich: Kein Zugang zur medizinischen optimalen Versorgung, kein Zugang zu Schulung, Sprachbarrieren, Erschwerung der Therapie durch weitere Erkrankungen, etc.

In meinem Fall bedeutet Diabetes als Stärke, dass ich mich dadurch selbst ziemlich gut kenne: Meine Stärken und meine Schwächen und wie ich beides nutzen kann. Und auch beides nutzen muss, sonst läuft nix. Der Vortrag war für mich deshalb so gut, weil er so pragmatisch war und nichts beschönigt oder schön geredet hat. Von Superkräften war das ganz schön weit weg.

Achtsamkeit, Dankbarkeit, Mut – alles Quatsch?

Long story short: Achtsamkeit, Dankbarkeit und Mut können mich auf meinem Lebensweg unterstützen. Sie sind kein Allheilmittel und sie machen mein Leben auch nicht leicht und bunt, auch wenn ich das möchte.

Aufreger der Woche: „So tun als ob“-Inklusionsexperimente

Aufreger der Woche: „So tun als ob“-Inklusionsexperimente

Hallo in die Runde,

willkommen zurück zum Aufreger der Woche! Thema: „So tun als ob!“-Inklusionsexperimente.

Der Anlass für den Aufreger der Woche: „So tun als ob“-Inklusionsexperimente

Anlass für diesen Aufreger der Woche ist ein Tweet von Julia Probst, in dem es über „So tun als ob“-Inklusionsexperimente in Fernsehsendungen geht (vgl. https://twitter.com/EinAugenschmaus/status/1134367407894618112).

In diesem Fall setzt sich eine Person ohne Behinderung in einen Rollstuhl. Sie fährt neben einer Person, die immer mit Rollstuhl unterwegs ist, durch die Gegend. Erinnert mich an die FSJ-Experimente, die immer gleich enden: Froh sein, aufstehen zu können und wie schlimm das Leben im Rollstuhl die ganze Zeit ist. Die Sicht von Rollstuhlfahrenden ist dazu etwas anders. Alles eine Frage der Sichtweise!

Bild zeigt: Sonnenbrille gegen das Sonnenlicht gehalten.

„So tun als ob“Inklusionsexperimente mit Diabetes Typ1

Diese „So tun als ob“-Inkusionsexperimente beobachte ich auch in Bezug auf Diabetes Typ1. Menschen ohne Diabetes wollen durch Experimente nachempfinden, wie es wohl ist, Diabetes Typ1 zu haben. Dafür überlegen sie sich, wie viele Kohlenhydrate ihr Essen hat und wieviel sie dafür spritzen müssten (oder spritzen mit Kochsalzlösung).

Die Bemühung kann ich nachvollziehen. Ich habe manchmal gedacht oder gesagt: „Wenn die Person nur für einen Tag Diabetes Typ1 haben könnte, dann könnte sie XYZ nachvollziehen„. Das war, gelinde gesagt, ziemlich dämlich von mir.

Barrieren sichtbar zu machen ist wichtig!

Barrieren sichtbar zu machen ist wichtig.

Das Problem an den „So tun als ob“-Inklusionsexperimenten ist schlicht und ergreifend: Sie zeigen nicht die wirklichen Barrieren für die Person mit der Behinderung, mit Typ1-Diabetes.

Menschen ohne Diabetes versuchen, durch Kohlenhydrate schätzen und spritzen ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ist, Diabetes zu haben. Hinterher ist das Ergebnis oft Mitleid („Cool, dass du das schaffst!“, „Ihr braucht alle mehr Unterstützung!“), Bewunderung („Wow, wie stark du sein musst!“), selten auch Erkenntnis („Oh, das kann manchmal echt anstrengend sein!“).

Bloß: Mir hilft das in Bezug auf Inklusion nicht weiter. Mir hilft es auch nicht weiter, wenn mich als Einzelperson die ganze Welt unterstützen will. Meine Barriere ist schlicht und ergreifend nicht das Leben mit spritzen und schätzen mit einer gesunden Bauchspeicheldrüse. Mein Problem ist nicht, für einen Tag bis eine Woche damit zurecht zu kommen.

Diese Aussage ist kein Vorwurf, nur eine Feststellung.

Probleme und Barrieren im Alltag

Die Probleme und Barrieren im Alltag teilen sich meiner Erfahrung nach in zwei Teile: Offensichtliche Barrieren und Barrieren, die nicht so offensichtlich sind.

Teil1: Offensichtliche Barrieren

Menschen mit Typ1-Diabetes

  • ersetzen ein Teil eines Organs
  • versuchen, den Spagat zwischen Spritz-Ess-Abstand, Insulin und Nahrungsaufnahme optimal auszuloten
  • versuchen, Sport mit der GENAU richtigen Menge an aktivem Insulin zu machen
  • versuchen, den Blutzuckerspiegel in einem festgelegten Bereich zu halten

Teil2: Weniger offensichtliche Barrieren

Menschen mit Typ1-Diabetes

  • verbringen auch 2019 immer noch unfassbar viel Zeit damit, ein Rezept zu erhalten
  • verbringen auch 2019 immer noch unfassbar viel Zeit im Wartezimmer von Arztpraxen
  • leben mit dem Hintergedanken „Folgeerkrankung“ bzw. der Hoffnung, keine zu bekommen
  • meistern oder scheitern an Hürden bezüglich einer Aufnahme in eine Private Krankenversicherung
  • erleben häufig, dass JEDE andere (akute) Erkrankung von ihrem Typ1-Diabetes kommt
  • haben keine Chance auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung
  • bekommen häufig die Kompetenz abgesprochen, insbesondere auch von medizinischem Personal, das nicht speziell für Diabetes (egal welchen Typs) ausgebildet wurde

Hinzu kommt, dass es meines Eindrucks nach keine vernünftige Patientenorganisation gibt, sodass uns schlichtweg die Lobby fehlt. Das ist meiner Beobachtungen nach leider kein Problem alleine von Menschen mit Typ1-Diabetes, doch das würde an dieser Stelle zu weit führen.

Aber was darf man denn dann noch machen?

  • Aushalten, wenn jemand sagt, dass das Leben mit Typ1-Diabetes gerade verdammt anstrengend ist.
  • Aushalten, wenn jemand sagt, dass das Leben mit Typ1-Diabetes gerade verdammt nicht anstrengend ist.
  • Für Inklusion einsetzen. Das kann „einfach“ schon sprachlich sein. Ich bin nicht „das arme Mädel mit dem schweren Diabetis“ oder „die Aaaaaarme, die hat schwer Zucker!“.
  • Menschen mit Typ1-Diabetes (oder anderen Beeinträchtigungen/Behinderungen) zuhören, in einen Dialog gehen.
  • Höflich nachfragen.
  • Aufmerksam sein: Gibt es Barrieren? Kann die Barriere beseitigt oder reduziert werden?
  • Wenn du als Typ-F’ler*in so ein Experiment machst, immer bedenken: Das ist NICHT das Leben mit Typ1-Diabetes. Ähnliches las ich z.B. auf dem Blog von Diafeelings, deren Freund vor einiger Zeit solch ein Experiment machte. Die zwei haben das Experiment für sich abgeklärt. Für sich selbst in einer Beziehung/Freundschaft ist das zum Glück eine andere Sache als solch allgemeine Experimente wie die genannten Beispiele der Rollstuhlfahrenden!
  • Sag mir einfach nicht, wie „stark“ du mich findest. Ich bin manchmal stark und manchmal schwach. Wäre ich auch ohne Diabetes Typ1, wie jeder andere Mensch auch.

Da ich ein Glückskind bin, habe ich zum Glück eine tolle kleine Familie und Freund*innen, die genau das alles können – und jede*r macht das anders. Find ich gut!

Liebe Grüße, beate putzt

 

Aufreger der Woche: Aktion Sche1sstyp

Liebe*r Leser*in,

wie du sicherlich mitbekommen hast: Momentan läuft eine große Kampagne des Helmholtzzentrums gegen den „Sche1sstyp Diabetes“. Bundesweit hängen Plakate und Infoscreens mit der Aufschrift „Sche1sstyp“. Die Aktion wird auch über diverse Social Media Kanäle beworben und durch die Kanäle der Blood Sugar Lounge mitunterstützt. Dort wurde zunächst erklärt, dass alle Autor*innen diese Kampagne kannten und diese unterstützen.

Mir raubte diese Aktion zwei Nächte Schlaf und viele Worte. Ich möchte mich in aller Form von dieser Kampagne distanzieren, was ich auf instagram  und facebook schon getan habe.

Doch welche Auswirkungen hat solch eine Kampagne mit einem solchem reißerischen Marketing?

Die Kampagne soll wohl für Prävention für Typ1-Diabetes sorgen, insbesondere aber Eltern dazu bewegen Kinder in Studien einzuschließen, weniger um Menschen aufzuklären, die Typ1-Diabetes kaum oder gar nicht kennen. Wer liest schon die klein unten angefügten „Erklärungen“?

Ich erlebe gerade eine andere Realität. Am Donnerstag abend klingelte mein Telefon und Marlies Neese, die Vorsitzende des Vereins „Hilfe für Kinder und Jugendliche bei Diabetes mellitus e.V. war am Apparat. Sie setzt sich seit fast vierzig Jahren für die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen mit Typ1-Diabetes ein, wofür ihr unter anderem als Anerkennung ihrer Arbeit bereits 1995 das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde.

Hallo Frau Neese, können Sie mir bitte helfen, mein Kind wird gemobbt!

Seit das Helmholtz-Institut die Kampagne gelauncht hat, steht bei Marlies das Telefon nicht mehr still: Verzweifelte Eltern rufen an, deren Kinder gemobbt werden. Kinder, die mittlerweile im Erwachsenenalter sind und Marlies von früher kennen, berichten ihr von diskriminierenden Erfahrungen durch die Sche1sstyp-Kampagne. Kinder und Jugendliche mit Typ1-Diabetes werden auch im Jahr 2019 schon ohne die Sche1sstyp-Kampagne von Kindergärten und Schulen ausgeschlossen oder als lästiges Anhängsel gesehen, machen ausgrenzende Erfahrungen. Die Anzahl der Erfahrungen werden durch die Schei1sstyp-Kampagne massiv verstärkt.

Ausgrenzende Erfahrungen anstatt Teilhabe – kann das 2019 noch ein Ziel sein?

Neben der Aufregung, dass ich kein Sche1sstyp bin, war das auch mein Gedanke: Es wird eine große Personengruppe diskriminiert und herabgewürdigt. Besonders hart trifft es Kinder und Jugendliche, Frischdiagnostizierte oder auch Personen, die ihren Diabetes noch nicht akzeptiert haben.

Marlies brennt für genau diese Zielgruppe. Genauso wie ich, möchte sie die Macher*innen der Sche1sstyp-Kampagne zum Umdenken und vor allem zum Löschen im Netz bewegen. In einem Brief, den ich gerne mit euch teilen möchte, hat sie ihr Anliegen formuliert.

„Sehr geehrte Damen und Herren,

seit gestern, 22. Januar 2019, gibt es die Werbekampagne des Helmholtz-Zentrum München „Fluchen für die Wissenschaft – Auftakt für Awareness Kampagne zu Typ 1-Diabetes“.

[Kürzung wegen Namennennung]

Wir begrüßen jede Forschungsaktivität, jede Verbesserung, jede auch nur erdenkliche Erleichterung in Sachen Diabetes.

Das Motto „Sche1ßtyp“ der oben genannten Kampagne mit bundesweit 1.500 Plakaten und 560 Infoscreens trägt nicht dazu bei – ist nicht nur missverständlich, sondern auch im höchsten Maße diskriminierend für die Betroffenen.

 

Wir sind ein Hilfeverein für Eltern diabetischer Kinder und Jugendlicher, der permanent Unterstützung leistet und sich vielfach mit der Diskriminierung von Kindern mit Diabetes Typ 1 im Alltag auseinandersetzt:

  • Kitas und Schulen, die die Kinder nicht aufnehmen möchten,
  • sonstige Institutionen, die gegen die Eltern den Vorwurf erheben, selbst daran Schuld zu sein,
  • Kostenträger, die immer wieder die Übernahme diabetesspezifischer Hilfsmittel ablehnen,
  • Versorgungsämter, die mit dieser Form „dem Sche1ßtyp“ nicht umgehen können.
  • Familien, die finanziell ums Überleben kämpfen, weil die Mütter kleiner und größerer Kinder zur Versorgung dieser zuhause bleiben müssen. Hohe Mieten und Abzahlungen von Eigenheimen müssen weiter geleistet werden, Nachbarn und selbst Familienmitglieder, die mit Unverständnis und unqualifizierten Äußerungen reagieren wie „richtig ernährt hätte das Kind keinen Diabetes“.
  • Und was ist mit den potenziellen künftigen und derzeitigen  Arbeitgebern der Betroffenen? Wie werden diese auf die Aktion reagieren?

 

Die Kampagne mag gut gemeint sein – nicht jeder liest, bzw. versteht die erklärenden Erläuterungen des Helmholtz-Zentrums. Auch einfache Menschen haben einen Diabetes Typ 1 oder Kinder mit dieser Erkrankung. Aus Sicht der Betroffenen stärkt und bedient diese „Werbemaßnahme“ nur  bereits bestehende Vorurteile.

 

Wir hoffen, dass Sie diese missverständliche bundesweite Plakataktion – Sche1ßtyp – unterbinden bzw. uns aufklären, wie diese zu stoppen ist.

 

Mit freundlichen Grüßen

Marlies Neese

Vorsitzende

Hilfe für Kinder und Jugendliche bei Diabetes mellitus e.V.“

Sprache schafft Wirklichkeit!

Ich kann mich dem nur anschließen und jeden einzelnen Punkt unterschreiben. Sprache ist Macht und Sprache schafft Wirklichkeit. Sowohl für mich selbst als auch für mein Umfeld: Ich bin kein Sche1sstyp.

Liebe Marlies, danke danke danke für deinen unermüdlichen Einsatz!

Ich würde mich sehr freuen, wenn du, liebe*r Leser*in, mit mir in den Austausch kommen würdest und noch besser – auch in einen Dialog mit dem Helmholzzentrum. Du kannst das zum Beispiel tun, indem du diesen Blogbeitrag teilst.

Viele Grüße, beate_putzt gegen Diskriminierung und für Teilhabe

4 Monate DANA RS – Traumpumpe, Hasspumpe?

Hallo ihr,

ich nutze bereits seit vier Monaten die DANA RS. Vorher habe ich neun Jahre lang die Accu-Chek Spirit Combo genutzt, davor die Accu-Chek Spirit und die D-tron plus. Ich habe also nicht nur das Modell, sondern auch die Herstellerfirma gewechselt.

Bereits im April habe ich meinen closed loop gestartet, damals noch mit der Accu-Chek Combo. Nach vier Monaten mit der DANA RS kann ich nun endlich was über ihre Vor- und Nachteile sagen – auch, was das loopen betrifft.

Zwei Pumpen: Dana RS und Accu-Chek Spirit Combo

 

Vorteile

  • klein, leicht, handlich
  • superschnelle Bluetoothverbindung, die dazu noch Akku schonend ist
  • langlebige Batterie (selbst im Loopdauerbetrieb hält meine Batterie mindestens (!) 50 Tage durch)
  • theoretisch auch durch eine offizielle App leicht zu bedienen. Die nutze ich jedoch nicht und kann dazu nichts sagen
  • leichte Einbindung in die AndroidAPS-App, ein Haken und fertig
  • passt durch ihre Größe in jede Hosentasche und Pumpentasche
  • nachts trotz Loop ohne Gepiepe durchschlafen (die Combo vibriert bei jeder BR-Änderung, die Dana RS nicht)
  • 360° drehbare Katheter (dazu später mehr)

Drehbarer Katheter, Dana RS

Dana RS Pumpe in der Hosentasche versteckt

Nachteile

  • kein Luer-Anschluss -> d.h. nur wenige Katheter stehen offiziell zur Verfügung
  • „Gefissel“ beim Aufziehen und Einsetzen der Insulinampullen
  • ich muss manuell einstellen, wie viel Einheiten ich in die Patrone eingefüllt habe -> Häufig unübersichtlich
  • die Menge der Insulinpatrone kann nicht optisch erkannt werden, da der Kolben selbst bei ü30 I.E. nicht mehr sichtbar ist. Dazu zu dem Punkt davor: Wenn ich nicht ganz genau die Einheiten erwischt habe, die angeblich in der Pumpe sein sollen, ist das ganz schön schwierig. So dachte ich häufig: „Pumpe zeigt noch 15 I.E. an, reicht locker noch fürs Frühstück“ und während des Bolens piepste es dann: Verschluss = Patrone leer
  • spezielle Batterie, nicht im Handel erhältlich
  • ohne App ist die Boluseingabe etwas kompliziert, finde ich
  • Katheter und deren Verträglichkeit (dazu gleich mehr)

Blick auf das Patronenfach. Auch, wenn es leer scheint: Zum Zeitpunkt des Fotos waren noch 33 I.E. in der Pumpe.

Ich bin nach wie vor begeistert davon, wie klein und leicht die Pumpe ist. Ich finde sie nach wie vor hässlich, es macht keinen Spaß, sie anzusehen. Da fand ich jede Pumpe davor schöner. Toll ist die Bluetoothverbindung und die Batterie – das macht die Pumpe so toll zum loopen. Aber: Die Ampullengeschichte und die Katheter stören mich sehr. Für mich keine Anfängerpumpe, ein wenig Pumpenerfahrung schadet mir definitiv nicht.

Katheterprobleme

Von den Kathetern habe ich vorher von einigen (!) Personen gehört, dass sie abfallen. Damals dachte ich noch: „Mensch Leute, desinfiziert und entfettet doch richtig, so schwer kann das nicht sein!“ Tja, Hochmut kommt vor dem Fall. Ich habe mir in meiner bisher 16jährigen Pumpenkarriere nie so viele Katheter rausgerissen oder verloren wie jetzt. Hinzu kommt, dass ich häufig Entzündungen und Verhärtungen entwickle und die Katheter meistens nur zwei Tage liegen lassen kann. Auch wenige Stunden Tragedauer führen zu Reaktionen, die Einstichlöcher sind auch nach Tagen noch gut erkennbar. Ätzend. Wirklich ätzend. Normalerweise vertrage ich alles medizinische gut, hab ne „Elefantenhaut“, die schnell verheilt, konnte Katheter an faulen Tagen auch mal vier Tage liegen lassen.

Katheter vor 12 Stunden entfernt, 3 Tage Liegedauer

Katheter vor 26 Stunden entfernt, wenig Rötung, tagelange Verhärtung, Liegedauer von 1,5 Tagen

Katheterstelle mit Verhärtung, Liegedauer 26 Stunden

Wie soll es weitergehen?

Das nervt mich sogar so sehr, dass ich überlege, ob die Pumpe das richtige für mich ist. Ja, es gibt Adapter für Luer-Anschlüsse und ich weiß auch, dass ich mir mit der Nagelschere einen Teil des Lueranschluss kürzen kann – bloß bei einer niegelnagelneuen Pumpe zu solchen Experimenten greifen, macht irgendwie auch wenig Sinn. Ich nutze den Teflonkatheter, Stahl vertrage ich nicht. Dafür verwende ich die Setzhilfe. Ich bin gerade wirklich hin und her gerissen. Das kleine, handliche Teil würde ich vermissen, auch, dass es wenig vibriert/piept und die Bluetoothverbindung stabil UND batterieschonend ist.

Nach 16 Jahren Pumpenerfahrung weiß ich auch, es gibt keine perfekte Pumpe. Ich muss mir nur überlegen, ob ich meinen Körper derart zerschießen kann. Wahrscheinlich werde ich demnächst doch die Nagelscherenlösung austesten. Gerade trage ich viele Katheter am Oberschenkel, da der unempfindlicher ist als die Hüftregion/Po/Bauch.

Hilfe und Austausch gesucht!

Habt ihr solche Erfahrungen? Tipps? Anregungen? Ich bin ein bisschen traurig, da ich mich so auf die Pumpe gefreut hatte und jetzt wirklich so negative Erfahrungen mit den Kathetern habe 🙁

Liebe Grüße, Beate

 

Update (09.12.2018): Ich habe in diversen Foren gelesen, dass 2019 neue Teflonkatheter kommen sollen. Eine Quelle dafür habe ich nicht. Die Beschwerden bzgl. der Katheter werden immer mehr, mich erreichen viele Berichte bezüglich Hautreaktionen. Über die Community werden mir nun Ersatzadapter zugeschickt (off-label use, SOOIL rät davon ab!). Ich werde berichten, wie es weitergeht…

Aufreger der Woche: Dein Uropa war ein Nazi

Dein Uropa war ein Nazi

Mein Opa: *12.09.1929, + 09.02.2018

88 Jahre im Zeitraffer

88 Jahre. Börsencrash mit schwarzem Freitag, Nationalsozialismus, 2. Weltkrieg, Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, DDR, Kinder, Wiedervereiningung, Euro, Enkelkinder. „Mein Vater war kein Nazi, mein Bruder ist im Krieg gefallen.“

Mein Opa

Mein Opa ist dieses Jahr gestorben. Ein meist fröhlicher Mensch, Handwerker aus Überzeugung. Mein Opa, der andere Menschen so nahm, wie sie waren, ohne sie direkt zu be- und verurteilen. Er erzählte gern von früher.

Erzählst du mir eine Geschichte?

Gerade in der Mittelstufe hatte ich viele offene Fragen: „Opa, wie war das im Krieg?“ Mein Opa war nicht im Krieg, er war zu jung. Sein Bruder Anton wurde eingezogen, dabei sei sein Vater dagegen gewesen.

Jahre später erzählt mir meine Mutter: Dein Uropa war ein Nazi. Er war Parteimitglied und der Überzeugung, dass die Nationalsozialisten im Recht seien. Beim Stöbern in Erinnerungsstücken finde ich alte Fotos.

Kind oder Soldat?

Links ein Kind bei der Einschulung, rechts nur wenige Jahre später vor dem Einzug in den Krieg. Mit das letzte Bild, das existiert. Anton, gefallen im 2. Weltkrieg. Es gibt noch mehr Bilder, Bilder, die zeigen, dass Nationalsozialismus überall war. Gemeinsam mit meiner Familie betrachte ich die Bilder. Meine Schwester sagt „Wie verrückt das ist, auf einer Geburtstagsfeier den Hitlergruß zu machen! Als ob heute jemand die Merkelraute auf einem Geburtstag machen würde!“

Es gibt Bilder, auf denen mein Uropa stolz seinem Sohn die Hand schüttelt, als dieser mit Gewehr und Koffer bestückt  auf dem Treppenabsatz steht. Das muss so alltäglich gewesen sein, so normal, dass Kinder mit Gewehren ausgestattet wurden, dass bei Feiern mit Hakenkreuz dekoriert und mit Hitlergruß posiert wurde.

2004 bis heute

Jahrzente später marschiere ich im Alter von 14 Jahren bei Schuldemos gegen Nazis mit. Höre Die Ärzte, Rheinhard Mey, Mono & Nikitaman. Sie alle positionieren sich gegen rechts. Nazis, Rechtsradikale, das sind doch nur einige wenige, Vergangenheit, so sagten viele Erwachsene in meinem Umfeld. Dagegen ein Zeichen setzen, laut sein. Das nicht mehr Menschen im Krieg sterben müssen, nie wieder Menschen mit Behinderungen (wie Diabetes) vergast werden. Das Wahrheit werden lassen, wie es seit 1949 im Grundgesetz steht.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. (Art. 3, Abs. 3 GG)

Was mich so schockiert, ist, dass jahrelang vieles nicht besprochen wurde. Die Generation Opa entweder behauptet hat, sie und ihre Familien wären im Widerstand gewesen, sie und ihre Familien hätten nichts mitbekommen und ab nach dem Krieg war alles wieder gut.

Nach dem Krieg

Gehirnwäsche geht nicht über Nacht weg. Geht nicht weg, wenn man darüber nicht spricht. Das zeigen meiner Meinung nach die Ausschreitungen der letzten Jahrzente: Rostock, Chemnitz und nicht zuletzt die Anfrage bezüglich der Gründe von Behinderungen seitens der AfD. Mein Opa hatte im hohen Alter Flashbacks: Durch seine OP-Demenz war er teilweise nicht ansprechbar und fühlte sich eingesperrt, im Käfig. Früher wurden psychisch kranke Menschen in Käfigen oder Ketten gehalten, wahrscheinlich hat er sich daran erinnert. Gesprochen wird in meiner großen Familie darüber nur wenig. „Da war einer, der lag im Hof in Ketten“, mehr ist angeblich nicht bekannt. Teilhabe von Menschen mit Behinderung gleich 0; Ausschluss und Ausgrenzung von jedem gesellschaftlichen Leben.

Kuhlenkampffs Schuhe

Mich hat die Dokumentation „Kulenkampffs Schuhe“ sehr berührt: Wie war das eigentlich, im Gute-Laune-Deutschland, in dem ich noch gar nicht geboren war? Wie ging es weiter, nach dem Krieg? Wie wurde aufgeklärt, gebildet, gegen diskriminierende Strukturen vorgegangen?

Was hat das denn mit mir zu tun?

Natürlich trifft mich keine Schuld am Nationalsozialismus. Es ist meine Pflicht, heutige Aussagen zu überdenken, aufmerksam zu sein, wenn diskriminierende Strukturen wieder zuschlagen. Einfach mal „Nein“ zu sagen, wenn rassistische Bemerkungen fallen, egal wer sie äußert. Kritisch zu bleiben, wenn ein Horst Seehofer in die Welt krakeelt, die Mutter aller Probleme sei die Migration (für mich auch klar, dass er das Wort „Mutter“ anstatt „Vater“ wählt…). Für andere und nicht zuletzt einstehen, die aufgrund von Behinderungen und Benachteiligungen benachteiligt werden. Mit meinem Opa habe ich viel diskutiert, auch über den Nationalsozialismus: Wie kannst du sagen, dass Hitler auch gute Seiten hatte? Ja, er hat die Autobahn gebaut, bloß warum hat er das getan? Mein Opa war kein Nazi, hat aber – nicht zuletzt durch seinen Vater – die Gehirnwäsche mitbekommen und teilweise nicht überwunden, wie dieses Beispiel zeigt. Das betrifft nicht nur ihn, das betrifft uns alle. Auch in Situationen, in denen wir daran gar nicht denken: Diskriminierende Strukturen begegnen beispielsweise häufig Menschen mit Behinderung, Raul Krauthausen hat dazu bereits im Jahr 2011 geschrieben.

Gegen diskriminierende Strukturen ein Zeichen setzen

Erst denken, dann sprechen. Mitbestimmen heißt mit wählen, heißt Gespräche beginnen auch mal nicht einer Meinung zu sein. Dein Uropa war ein Nazi. Ich bin mir sicher, dass dieser Satz auf sehr viele Menschen in Deutschland zutrifft. Das nicht unter den Teppich zu kehren, daraus zu lernen und immer wieder gegen Diskriminierung angehen. Dabei hilft mir die Erinnerung an meinen Opa. Er nahm jeden Menschen, wie er ist.