Diabetes als Behinderung – Diskriminierung durch Diabetes
„Ich bin doch nicht behindert.“ Das habe ich vor wenigen Jahren noch selbst gesagt. Im Jahr 2021 hat sich viel geändert mit der Sicht auf Behinderung und was eine Behinderung ausmacht.
Vor kurzem habe ich auf instagram für den diabetes ratgeber ein takeover gemacht. Thema: Diskriminierung und Diabetes. Dieser Artikel ist eine vertiefte Zusammenfassung davon und eine Aktualisierung meines 2015 Artikels „behindert sein vs behindert werden , den ich heute nicht mehr ganz so schreiben würde.
Definition Diskriminierung im rechtlichen Sinne
Eine Diskriminierung im rechtlichen Sinne ist eine Ungleichbehandlung einer Person aufgrund einer (oder mehrerer) rechtlich geschützter Diskriminierungskategorien ohne einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt. Die Benachteiligung kann ausgedrückt sein z. B. durch das Verhalten einer Person, durch eine Vorschrift oder eine Maßnahme.
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Handbuch_Diskriminierungsschutz/Kapitel_2.pdf?__blob=publicationFile&v=5, letzter Zugriff 27.02.2021
Wie behindert Diabetes?
Menschen mit Diabetes und Menschen mit anderen chronischen Erkrankungen und Behinderungen haben alle ähnliche Erfahrungen in Bezug auf Barrierefreiheit und Inklusion gesammelt. Eine Person, die Rollstuhl fährt, hat andere Diskriminierungserfahrungen als eine Person, die blind ist. Trotzdem treffen wir an bestimmten Punkten aufeinander und siehe da „Ah, das kenn ich auch!“ kommt immer wieder in Gesprächen vor.
- Diskriminierungserfahrungen bei Ärzt*innen und medizinischem Personal
- Du bist so eine starke und inspirierende Persönlichkeit! alias inspiration porn
- Absprechen von Erfahrungen und Expertise (bei uns Menschen mit Diabetes z.B. übergriffiges Verhalten wie „Du darfst das nicht essen! Ich kenn mich da aus!“)
- Erschwerter Zugang zu Bildung: Schwierigkeiten bei der Wahl des Kita-Platzes, der Schule plus Schwierigkeiten der pflegenden Angehörigen, vorrangig Mütter, weiter beruflich tätig zu sein. Jede 10.Mutter gibt ihre Arbeitsstelle auf.
- Kämpfe mit Krankenkassen, MDK und Co für Hilfsmittel (wer hat noch nicht gebangt, ob das CGM wieder genehmigt wird?)
- Probleme bei der Verbeamtung und selbst mit Behindertenausweis Probleme bei der Versicherung
- Keine Chance, mit Diabetes eine Berufs- oder Dienstunfähigkeitversicherung abzuschließen (ok, seit neuestem gibt es da eine verrückte Version – davon bin ich noch nicht überzeugt und auch da hängen so viele ABERs dran, dass es sich deutlich von Menschen ohne Behinderung unterscheidet)
Sich dessen bewusst zu werden, war für mich ein wichtiger Prozess. Es lenkte den Blick weg von mir als Einzelperson zu uns als Gruppe von Menschen mit Diabetes und Behinderungen. Diskriminierung ist eben nichts, was ausschließlich ich erfahre!
Das sind doch nur Einzelfälle!?
Diskriminierung ist möglich, weil das System es erlaubt (ähnlich wie bei Rassismus oder Sexismus). Diskriminierung ist vielschichtig.
Es kann natürlich sein, dass ein sehr unsympathischer Mensch zusätzlich zur Diskriminierung noch blöd wird. Aber auch nette, sympathische Menschen können sich diskriminierend verhalten (siehe die zahlreichen Beispiele unter dem Posting des diabetes ratgebers). Das System an sich ist auch schon diskriminierend.
Beispiel: Krankenversicherung und Diabetes Typ1 als Beamtin
In meinem Referendariat als Beamtin auf Widerruf 2018/2019 konnte ich mich nicht privat versichern, da die Öffnungsklausel nur für Verbeamtung auf Probe gilt. Also musste ich mich freiwillig gesetzlich versichern, zu einem deutlich höheren Preis als meine Mit-Referendar*innen in der PKV. Mein knappes Referendariatsgehalt wurde nicht angepasst. Für eine Krankheit, für die ich unfreiwillig Verantwortung trage, wurde ich bestraft.
Danach war ich ein Jahr angestellte Lehrkraft, hier war ich gesetzlich pflichtversichert und es gab keine Probleme.
Seit Oktober 2020 bin ich verbeamtet auf Probe. Eine freiwillig gesetzliche Versicherung ist sehr teuer. Nach Abwägen vieler Gründe habe ich mich für eine private Krankenversicherung entschieden. Dort zahle ich nun 30% (!!!) Risikozuschlag plus bin im stationären Bereich runtergestuft als gesetzlich Versicherte. Mein Gehalt wird auch hier nicht angepasst.
Das tut zwar allen Mitarbeitenden in allen Versicherungen immer totaaaaaaal Leid, ändern tut sich aber nix. Und da wir Menschen mit Behinderungen immer noch keine Lobby haben , setzt sich eben niemand für uns ein. Ich werde behindert.
Behinderung als Status
Meine Behinderung an sich ist erstmal nur ein Fakt: Teile meiner Bauchspeicheldrüse arbeiten nicht, ich übernehme einen Teil eines lebenswichtigen Organs. Das dass richtig nervig sein kann, wissen wir alle.
Manchmal möchte ich meinen Diabetes gerne abgeben. Die meiste Zeit lebe ich zufrieden mit meinem Diabetes. Diabetes ist eine meiner Stärken. Und egal, wie ich meine Behinderung wahrnehme – ich mache immer wieder diskriminierende Erfahrungen. Genau das zeichnet Diabetes als Behinderung aus, ob ich einen Behindertenausweis besitze, ist dafür überhaupt nicht relevant.
Dazu haben schon viele kluge Menschen geschrieben. Ich verlinke mal zwei meiner Lieblingsbeiträge. Leider ist das Einbetten von instagram Beiträgen nicht mehr erlaubt, deshalb sind es wirklich zwei hässliche Links – sorry!
www.instagram.com/p/CHAL9zSKj7j/?igshid=1gmqit9l36r85 (Raul Krauthausen)
https://www.instagram.com/p/CIoAEFqH51k/?igshid=jykdqgxcxl3 (Laura Gehlhaar)
Inklusion als Herzensthema
Ich habe katholische Religionslehre, Germanistik und Sonderpädagogik studiert, ich arbeite als Förderschullehrkraft, ich habe selbst eine Behinderung. Inklusion ist mein Herzensthema, über das ich immer noch zu wenig im Internet spreche. Ich versuche, das zu ändern.
Wer den instagram takeover verpasst hat, kann das Highlight sowohl auf dem Account des diabetes ratgebers als auch bei meinem Account ansehen.
Erzählt mir gerne mehr über eure Sicht auf die Dinge und über eure Diskriminierungserfahrungen. Ich freu mich auf den Austausch!
Liebe Grüße
beate_putzt für Inklusion
Weiterführende Links
- grundsätzlich kann ich euch alles von Raul Krauthausen und Laura Gehlhaar ans Herz legen
- https://dieneuenorm.de/aktuelles/ableismus-behindertenfeindlichkeit/ Behindertenfeindlichkeit und Ableismus
- https://leidmedien.de/
- https://dieneuenorm.de/
- https://barrierefreiposten.de/barrierefreiPosten.html Im social media Bereich ist es wohl am einfachsten, sich selbst „mal schnell“ inklusiver zu verhalten, z.B. mit einer Bildbeschreibung!