Vor zwei Jahren war ich auf DEM Hauptweg der Jakobswege, dem Camino francés, unterwegs. Bevor ich aufbrach, wusste ich damals noch gar nicht, dass es mehrere Varianten und Möglichkeiten gibt, Richtung Santiago de Compostela zu kommen. Schon auf dem Weg war klar, wir (meine Kindergartenfreundin Jana und ich) laufen nochmal. Dieses Jahr wollte ich eigentlich die 2.500km laufen, habe aus verschiedenen Gründen den Weg unterbrochen.
Wenig später bin ich in Spanien mit Jana wieder gestartet: Unser Traum vom Nordküstenweg (Camino del Norte) wurde gewagt und Spoiler, es hat sich gelohnt. 🙂
Faktencheck
Der Nordküstenweg verläuft zu großen Teilen am Meer und ist meines Eindrucks nach anstregender und herausfordernder als der Camino francés. Lange Etappen, teilweise kilometerlanger Asphalt mit steinigen Untergrunden im Wechsel immer den Launen der Küste ausgesetzt. Zugegeben, das Wetter hätte nicht besser sein können und ich habe meinen stylischen Poncho nur drei Mal gebraucht. Es gab weniger Bars, um zwischendurch einzukehren, dafür abends schöne Gelegenheiten zum essen und trinken. Für mein leibliches Wohl war also zumindest abends stets gesorgt. Auf der ganzen Strecke habe ich nur drei Mal eine leichte Hypo gehabt. Nächtliche Überzuckerungen mit Unmengen an Wasser, morgendlichen Kopfschmerzen und wenig Schlaf hatte ich dagegen in der ersten Woche leider häufig. Das war wohl zum einen dem ungewohnten Essen als auch zum anderen der Ausbalancierung des reduzierten Basalinsulins geschuldet.
!Wichtig! Ich bin auf dem französischen Weg sehr gut mit dem roten Führer zurecht gekommen. Aus verschiedenen Gründen habe ich im Laufe des Nordküstenwegs mein rotes Buch entsorgt und bin mit dem gelben Führer weitergelaufen. Mit dem roten wäre ich wohl heute noch nicht in Santiago angekommen.
!Empfehlung! Ergänzend zum Buch kannst du dich unter der spanischsprachigen Website https://www.gronze.com/ informieren oder/und dir die App „buen camino“ (gelber Pfeil auf blauem Grund) herunterladen.
Die Füße laufen lassen, der Rest läuft mit
„Es geht mir gut, es geht mir sehr sehr gut.“ – Eins, Zwo
Auf dem Camino habe ich nur wenige Aufgaben: laufen, essen, trinken, waschen, schlafen und meine Bauchspeicheldrüse imitieren. Alles andere ergibt sich von selbst, das Auge sucht nach Muscheln und Pfeilen, die als Wegweiser dienen. Die Stimmung entscheidet, ob ich mich unterhalte oder allein meinen Gedanken nachhängen mag. Und letztlich entscheidet der Jakobsweg darüber, was ich bekomme.
Die Faszination Jakobsweg kann mitunter einen esoterischen Kick erhalten, der jedem, der noch nicht gepilgert ist, wahrscheinlich immer unbegreiflich bleiben wird (mir vor meinem ersten Camino übrigens auch). Dafür wird jedem noch so kopfgesteuerten Menschen, der schon gepilgert ist, sofort ein verständnisvolles Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ich kann es ganz schwer in Worte fassen, was dort passiert. Ein Autor, der das wesentlich besser kann als ich, ist Jean-Christophe Rufin: Nichts gesucht, alles gefunden. Meine Reise auf dem Jakobsweg.
Das einfache ist: Pack deinen Rucksack und geh los. Die Beschwerden kommen sowieso, in meinem Fall war das meine anfängliche Unsicherheit, weil in Frankreich nichts wie geplant geklappt hatte und an den letzten zwei Tagen noch zwei große Blasen erlaufen wurden. Jana dagegen hatte dieses Mal viele Schmerzen und ist nach Santiago vorgefahren und hat ihren Weg anders abgeschlossen. Deshalb waren wir am Ende eine Woche getrennt unterwegs.
Die Mitpilger
Grundsätzlich laufen auf dem Nordküstenweg weniger Menschen als auf dem Camino francés. Dadurch, dass ich auch längere Etappen als andere Pilger laufe, habe ich nicht ganz so viele Menschen getroffen. Da der Weg mir aber wieder das gegeben hat, was ich brauchte, war alles perfekt. Neben zahlreichen netten Bekanntschaften haben wir auch gleich am ersten Tag unseren „caminofriend“ Fabrizio kennengelernt, mit dem wir die etliche Kilometer mehr oder weniger gemeinsam gelaufen sind. Zusammen laufen ist auf solchen Strecken übrigens ein echtes Privileg: Ich gehe beispielsweise in hohem Tempo lange Etappen, mache zwei mittellange Pausen, stoppe nicht gern und unterhalte mich manchmal, aber nicht immer. Außerdem will ich nicht die ganze Zeit zusammen laufen, sondern auch getrennt. Gemessen an diesen Kriterien kann man sich leicht vorstellen, wie schwer es ist, jemanden zu finden, den man abends wieder sieht und je nach vorheriger Etappe auch noch erträgt 😉 Deshalb umso unglaublicher, dass ich zwei solche Menschen gefunden habe.
Kann es ein Fazit geben?
„Beate, wie war’s?“ Jetzt habe ich drei Möglichkeiten: Wenn die Person schon gepilgert ist, beginnt jetzt ein Gespräch über das Pro&Contra der Wege. Wenn die fragende Person noch nicht gepilgert ist (eine Option, die viel wahrscheinlicher ist), gibt es zwei Antwortmöglichkeiten:
- „Gut.“ (Evtl. noch: Gutes Wetter, anstrengend, gutes Essen, liebe Mitpilger)
- Eine Flasche Wein und mindestens drei Stunden Zeit. (Zeit zum Schweigen gehört auch mit zur Antwort)
Es lässt sich einfach nicht resümieren und kurz erzählen. Also für dich, liebe Leserin und lieber Leser: Es war gut. 🙂
Plus: Irgendeine Kilometerzahl zwischen 550km und 600km später sitze ich wieder im herbstlichen Deutschland und frage mich, warum ich das schon wieder gemacht habe und vor allem, warum ich schon mindestens einen weiteren Camino geplant habe…